Im Vakuum nach dem Corona-Einschlag

Mitte Mai – das Vakuum nach dem Corona-Einschlag dauert an

Mitte März entschwand die Welt, wie ich sie kannte. Ich versank im Vakuum nach dem Corona-Einschlag. Ohne dass ich es richtig mitbekam, nahm dieser Einschlag meine Gewissheiten mit sich: Wie die Welt so funktioniert und wie die Zukunft aussieht. Wie ich mich in meiner kleinen Welt bewege. Was auf mich zukommen wird.

Klar, auch da gab es Ungewissheiten. Aber auch die waren mir bekannt. Es waren die altbekannten Fragen: Woher die Aufträge kommen? Was wohl nächste, spannende Themen sein werden? Oder auch, wohin es mit diesem Land geht? Doch, das alles hat mich beschäftigt und mich bis ins Innerste bewegt und aufgewühlt.

Aber anders.

Meine kleine Welt versinkt im Vakuum nach dem Corona-Einschlag

Das hört sich so dramatisch an, aber es passierte fast zart. Es hörte gefühlt einfach fast alles auf, was ich kannte. Es war das Ende meiner gewohnten Welt, meiner Routinen und meiner gefühlten Sicherheiten. Was geschah, sprengte die Grenzen meiner Vorstellungskraft. Eine Gesellschaft, eine pulsierende Wirtschaft auf Null fahren? Wegen etwas, was man gar nicht sieht? Und das geht?

Schockstarre und Winterschlaf

Es wurde Frühling, und es wurde still. Es wurde gespenstisch und anstrengend ohne Ende. Ich musste nachdenken über alles, was ich tue. Was darf ich – was nicht? Selbst Einkaufen wird zu einer Generalstabsangelegenheit. Meine Güte, ist das anstrengend, ermüdend, frustrierend.

Gleichzeitig hatte ich aber auch ein Gefühl von Nestwärme in diesem Winterschlaf. Die Bilder von Bergamo gaben mir einen ersten Eindruck davon, um was es hier geht. Verkriechen in die Höhle und überdauern. Ich erinnere mich, dass in dieser Zeit so weitreichende Gedanken, die mich jetzt umtreiben, viel zu kompliziert waren. Ich habe nichts geschrieben, das war völlig jenseits meines Horizonts. Wozu auch? Das Gefühl für die Zukunft reduzierte sich auf den nächsten Tag, auf ein Leben auf Sicht.

Es entschwanden auch die anderen Menschen auf der Welt aus meinem Blickfeld. Wie in einem Tunnel verengte sich meine Wahrnehmung auf die nächste Anweisung. Mit den äußeren Grenzen zogen sich in mir die inneren hoch.

Die Erfahrung wächst

Mitte April änderte sich etwas. Denn vier Wochen Erfahrung mit einer neuen Situation haben, das ist schon viel. Es wuchs die Erfahrung, was das Virus macht. Wir machten erste Erfahrungen, wie wir als Gesellschaft damit umgehen lernen – mit allen Ungewissheiten und Fehlern.

Und dann war da die Erfahrung, dass die Nähe zu Menschen ein überlebenswichtiges Gut ist. Die Idee, dass wir beides brauchen: einen schützenden Abstand und andere Menschen um uns herum, elektrisierte mich. An diesem Punkt kehrte mein Handlungswillen zurück. Ja, wir müssen mit dem Virus leben lernen. Wir werden nicht aufwachen, und der Albtraum ist einfach vorbei. Und ja, wir müssen neue Wege finden. Also: WIE kann das aussehen? Es wird einen anderen Umgang mit einander geben. Wie kann das gut gelingen? Wie wird das werden? Interessant, wie belebend sich Neugier nach vier Wochen Schockstarre anfühlt.

Das Vakuum bleibt

Nun ist Mitte Mai, eine „Lockerung“ jagt die nächste. Die aktuellen Infektionszahlen des Landkreises sind die Zauberzahl. Eine erste Reise wird geplant, ein Hotel gebucht, das vermutlich noch geschlossen sein wird, wenn wir ankommen. Wie wird das Bahnfahren werden? Werde ich mein Plexiglas-Visier auch nicht vergessen, an das ich mich fast schon gewöhnt habe?

Und doch: Ich fühle mich wie in einem Vakuum. Die Welt der Gewissheiten, die verschwunden ist, hatte meinen Füßen Halt gegeben. Meinem Tag eine Struktur, die über ihn hinausreichte. Ich lebte halt irgendwie in einer gewissen Vorstellung von der Zukunft. Jetzt ist das anders, immer noch. Die äußeren, untergegangenen Gewissheiten – offenbar waren sie wie ein Geländer für mich.

Ich wurstele mich durch meine Tage. Klar finde ich immer irgendwie etwas, was zu tun ist. Und doch ist das alles irgendwie ziellos.

Das Vakuum nach dem Corona-Einschlag bebt

Was soll ich machen? Schließlich wende ich mich meinem Vakuum zu, das mich einhüllt wie Watte. Und in diesem Vakuum, da spüre ich ein inneres Beben. Als ich dabei bleibe, spüre ich:  Ich bin zutiefst erschüttert über die Zerbrechlichkeit meines kleinen Alltags, meiner kleinen Welt. Und jetzt, wo ich anfange, sie wieder neu zu besiedeln und sie wieder mit Leben zu füllen und mit Aktivitäten, da geht diese Erschütterung mit mir. Das Vakuum hilft, sie nicht zu fühlen. Doch wenn ich mich ins Vakuum begebe, dann ist es da, dieses Erschüttert-Sein bis in jede Faser.

Der Einschlag in meinem Inneren

Es ist etwas paradox. Doch meine Erschütterung im Arm zu halten, hilft mir und beruhigt mich. Es hilft mir anzuerkennen, wie zerbrechlich das ist, was ich als vermeintlich sicher annehme. Es hilft mir auch, inne zu halten und mich über meinen Tatendurst zu freuen, ohne ihn für das Leben zu halten. Ich merke, dass ich sehr viel damit beschäftigt bin, damit umzugehen, wie das Virus mein äußeres Leben beeinflusst hat. Ich fange an zu erkennen, welchen Einschlag es in meinem Inneren hinterlassen hat. Vielleicht finde ich den neuen Halt dort. Erschüttert sein dürfen hilft jedenfalls schon mal.