Moderation als Dialog
Erfahrungen mit Dynamic Facilitation

Dialog als Moderationsmethode?

Mit Dialog aus der kompletten betrieblichen Sackgasse: Wie Dynamic Facilitation entstand

Es ist eine Herausforderung in der Moderation, kontroverse Standpunkte in einen Dialog mit einander zu bringen. Neue Ansätze verdienen da immer einen Versuch. Dynamic Facilitation, so erzählt die Gründungsgeschichte, entstand aus einer schier ausweglosen betrieblichen Situation. Es saßen alle Problemträger beisammen. Es gab keinen gemeinsamen Blick auf das Problem. Es gab statt dessen viele verschiedene Lösungswege und eindeutige Problemzuschreibungen. Mit dieser Gruppe entwickelten die Erfinder der Methode einen Lösungsweg, den alle stimmig fanden. Und der funktionierte. So gesehen ist Dynamic Facilitation ein Kind der Praxis.

Vier Perspektiven des Dialogs zwischen Moderatorin und jeweils einer Person

Der Dialog zwischen Moderatorin und jeweils nur einer beteiligten Person hat einen Rahmen: Er verläuft zwischen vier sichtbar im Raum hängenden Perspektiven

Der Weg zu einer Lösung entspinnt sich zwischen vier Eckpunkten. Diese hängen – für alle sichtbar – im Raum: 1. Herausforderung, 2. Lösungen, 3. Informationen / Sichtweisen, 4. Bedenken. Die Moderatorin lädt die erste Person ein, ihre Herausforderung zu benennen. Die Moderatorin spiegelt bzw. fasst zusammen, was sie von der Person gehört hat und schreibt den 1. Satz zu den Herausforderungen auf. Z.B. “Wie kann …. so gemeistert werden, dass…? Fortan entspinnt sich ein Dialog zwischen der Moderatorin und dieser einzigen weiteren Person. Alle anderen hören zu. Da das manchmal schwer zu ertragen ist, ist es gut, mit der Person anzufangen, die am meisten unter Dampf steht.

Der innere Dialog zur Lösung wird sichtbar gemacht: Achtsam, genau zuhörend, sachlich

Es sind in Wirklichkeit zwei Dialoge, denn der Dialog zwischen Moderatorin und der aktiven Person reflektiert deren inneren Dialog über die  Herausforderungen und mögliche Lösungen

Die Moderatorin bleibt bei dieser ersten Person. Sie fragt nach, wenn sie den Satz aufgeschrieben und nochmal laut vorgelesen hat: “Wenn Sie den Satz nun so lesen oder hören, ist es dann genau das, was Sie als die Herausforderung empfinden?” Wenn ja, geht es weiter, z.B. “und was ist Ihnen dazu noch wichtig?” Vielleicht geht es von hier weiter zu einer der nächsten Überschriften. Oft aber passiert hier schon etwas sehr Interessantes: Allein die Rückkopplung mit der Moderatorin löst eine innere Präzisierung aus. Ihr Anliegen, genau zu verstehen und wiederzugeben, was gesagt wurde, führt zu diesem Effekt. Und dann kann die Herausforderung genauer benannt werden: “Na, wenn ich das jetzt so lese, merke ich, dass es mir eigentlich gar nicht darum geht, sondern vielmehr darum…” Dann wird die neue, präzisere Formulierung der Herausforderung zu der ersten hinzu geschrieben. So lange, bis es stimmt.

Der entschleunigte Dialog beschleunigt die Klärung

Der Dialog zwischen Moderatorin und der jeweils aktiven Person geht in die Tiefe. Verständnis wird erfahren und das tut gut.

Es ist ein wichtiger Klärungsprozess, der durch diesen Dialog geschieht. Alle im Raum erleben mit, wie enspannend und entlastend es plötzlich wirkt, wenn sich eine Person wirklich verstanden sieht. Moderatorin und aktive Person machen es vor, alle anderen erleben es mit und wissen, auch ihnen wird dieselbe Aufmerksamkeit und Sorgsamkeit zuteil werden. Dabei übernimmt die Moderatorin die Rolle der Nachfragenden, Verstehenden. Das wirkt als Vorbild für alle Beteiligten. Wenn sie selber an der Reihe sind, erleben sie am eigenen Leib, dass ihnen genauso zugehört wird und wie gut das tut. Alle Punkte werden nummeriert und untereinander notiert. Interessanterweise macht es das nicht unübersichtlich. Stattdessen wird erkennbar und für alle immer nachvollziehbar, wie sich der Suchweg der Gruppe entwickelt.

Der Dialog führt aus der Konfrontation in eine Haltung des Suchens nach Lösungen

Konfrontative Haltungen zwischen Gesprächsteilnehmern werden so von vornherein vermieden. In anderen Gesprächsformaten entsteht über strittige Themen schnell ein Hin- und Her von Schuldzuweisungen und Abwehrreaktionen. „Aber das habe ich doch so gar nicht gesagt“, oder „Ich werde hier falsch verstanden und muss das jetzt richtig stellen“, das sind Einladungen in schwer zu moderierende und meist langwierige Situationen. Dynamic Facilitation ist mit der Ansage: „Klappe halten und zuhören“ mitunter eine echte Provokation. Der Lohn der Disziplin zeigt sich aber recht schnell, indem bereits anhand des ersten Beispiels eine neue Haltung in der Gruppe entstehen kann.

Die vier verschiedenen und immer sichtbaren Perspektiven helfen dabei

Das erste Stichwort „Herausforderung“ umfasst alles, was sonst unter „Problem“ behandelt wird. Auch das ist am Anfang neu. Ich „darf“ nicht mehr sagen, „das Problem ist“. Sondern ich werde eingeladen, meinen Satz anders anzufangen. „Wie kann erreicht werden, dass…?“ Hoppla! Da muss erst noch einmal nachgedacht werden, bevor da wieder ein Satz rauskommt. Aber der moderierende Eingriff lohnt sich. Denn mit diesem Anfang ändert sich die Richtung in eine eindeutig lösungsorientiert Perspektive. Sehr schnell entwickelt sich so in der Gruppe ein Gefühl, dass niemand um seine Position kämpfen muss, sondern dass alle auf der Suche nach etwas Neuem sind. Die Moderatorin schreibt munter mit und füllt mit der Zeit die Zeilen unter den vier Überschriften. So enstehen lange Listen, denn es wird ergänzt, nichts durchgestrichen.

Der entscheidende Schritt in das Neue

Irgendwann gibt es dann den Moment, wo erstmal “alles gesagt ist”. Und nun? ??? ??? Stille füllt den Raum. Diese Stille ist der Anfang von etwas Neuem. Hier mache ich als Modertorin… nichts. Nur die Stille halten,… mal nicken, …. ein mhmmmm…. murmeln.

Irgendwann sagt dann jemand vielleicht so was wie: „Na, wenn ich mir das Ganze hier so anschaue, dann scheint es mir doch um das zu gehen….“. Und er formuliert eine neue Herausforderung. Und ein nächster sagt vielleicht. “Na, wenn das so wäre, dann würde das doch heißen ….” Ein neuer Faden wird gesponnen, den niemand der Anwesenden alleine für sich entdeckt hätte. Der irgendwie – vom Ganzen her gesehen – Sinn macht. Der Faden ist noch dünn, muss vielleicht noch auf Tragfähigkeit getestet werden, aber man kann ja alles aufschreiben, was dazu noch geklärt werden muss. Interessant ist, dass man hat eine erste gemeinsame Idee hat, in welche Richtung man gemeinsam gehen könnte, um die Herausforderung zu meistern. Ungefähr so ist es in meiner ersten Anwendung dieser Methode gelaufen. Wir hatten zwei Stunden Zeit, saßen mit 10 Leuten zusammen, die sich zum großen Teil zum ersten Mal trafen, und sprachen über eine so verfahrene Thematik wie das Gesundheitswesen.

Kontroverse oder kreative Fragestellungen – ein breites Anwendungsfeld

Ein zweiter Durchlauf mit der Methode bezog sich auf ein ganz anderes Thema, die Vorbereitung einer Publikation. Hier war eher Kreativität angesagt, aber auch Einbetten. Und auch hier wieder das gleiche Bild: Kein Gegeneinander-Reden und Gegenseitig-Madig-Machen von Ideen, keine ausgelutschte Ideenliste nach dem üblichen Brainstorming. Sondern ein Faden, der sich entspann. Insbesondere der Formulierung als Herausforderung statt als Problem scheint dafür geeignet zu sein, einen Lösungskorridor vorzubahnen, der bereitwillig alles aufnimmt und erkennt, was darein passt, egal, von wem es kommt.

Selbstklärung und Anwendung im Coaching

OK, dachte ich mir, was zwischen Leuten klappt, kann ja vielleicht auch in den Leuten klappen.Damit startete mein Selbstversuch, diese lösungsorientierte Moderation auch zur Selbstklärung zu nutzen. Inzwischen gehören die vier Eckpunkte auf einem EXCEL-Tabellenblatt zu einer meiner allerersten eigenen Klärungsroutinen.

Und, natürlich, was für mich klappt, das ist auch für die Arbeit mit meinen Kunden und Kundinnen gut. Hierzu ein Statement aus einem Coaching, das den Unterschied zu üblichen Moderationsituationen deutlich macht: „Als ich bei Barbara ankam, habe ich mich sehr darauf gefreut, mit Ihr über alles zu reden und mich ihren immer guten Fragen zu stellen. Nachdem ich aber den „Behandlungsraum“ betrat, wurde mir erst einmal ganz anders. Ich sah 4 Flipchart-Seiten aufgehangen an der Wand. Nein, ich hatte nun wirklich keine Lust auf „Pünktchen kleben“, „Bällchen zuwerfen“ und die Dinge den einzelnen Themen zu zu ordnen. – Nein, bitte nicht, ich hatte in meinem alten Berufsleben an zu vielen Seminaren teilgenommen, die bei mir oft nur den Geschmack von Zeitverschwendung hinterlassen hatten. … Barbara erklärte mir, dass sie mal eine neue Methode ausprobieren wollte. OK, lass dich einfach ein, habe ich mir gedacht und wenn ich merke, es hilft mir nicht, dann sage ich es einfach, ist ja schließlich meine Sitzungsstunde, bei der es um mich gehen soll.
Ich habe aber sofort gemerkt, schon bei der Erklärung der einzelnen Seiten, dass es vielleicht doch ganz gut war, denn ich wollte ja schließlich Ordnung und einen Weg für mich finden, und indem die Dinge notiert sind, kann man ja auch manches erkennen, was bei rein mündlichen Gesprächen vielleicht gar nicht so auffällt. Das erste Chart hieß „Herausforderung“ und nicht Problem. Das gefiel mir schon sehr gut, denn die Schwierigkeiten, die wir im Leben erfahren, sind Herausforderungen und keine Probleme. … Auch die anderen drei Seiten hatten sich für mich dann als sehr gut herausgestellt und durch das Niederschreiben konnten wir ganz klare Strukturen herausfiltern, welche ich für mich ansonsten vielleicht gar nicht oder zumindest nicht so klar und schnell erfasst hätte. Barbara hat es dann auch wieder super geschafft, das sehr strukturierte Vorgehen mit den Flipcharts in die emotionale Welt und Ebene zu bringen, so das der Einsatz dieser Methode, gepaart mit Barbara’s Geschick, für mich super erfolgreich war.“

Meine Bewertung

Die Gesprächssituation, die diese lösungsorientierte Moderatin schafft, ist geprägt von Verständnis, Neugierde, Offenheit, Annahme. Sie koppelt geistige Erkenntnis mit emotionaler Stimmigkeit. Das macht ihre Tiefe aus und erklärt die Nachhaltigkeit ihrer Lösungen. Weitere Pluspunkte:

  • Die Methode ist einfach anzuwenden.
  • Sie eignet sich sehr gut für offene Suchprozesse.
  • Im Unterschied zum Lehrbuch habe ich nicht darauf gedrungen, dass eine Person erst einmal alles sagt und erst dann eine andere dran kommt. Es scheint auszureichen, „fürs Erste“ mal das Wichtigste gesagt zu haben.
  • Wichtig fand ich dagegen die Regel, dass die Moderatorin darauf achtet, dass sie eigene Ideen nur in der Rubrik der Herausforderung einbringt und in allen anderen nur spiegelt. Sehr bewährt hat sich, es nach Möglichkeit so aufzuschreiben, wie die Kunden es sagen.

So, und mit dieser schönen Methode möchte ich meine Kunden zum Coaching einladen. Ich meine, ein jeder und eine jede hat ein so schönes Gespräch verdient!

Wer sich mit der Methode näher auseinandersetzen möchte, kauft sich: Zubizarreta, Rosa (2014): Dynamic Facilitation. Die erfolgreiche Moderationsmethode für schwierige und verfahrene Situationen. Weinheim [u.a]: Beltz (Beltz Weiterbildung-Training). ISBN 978-3-407-29370-1. Keine Angst vor dem Titel! Das Buch ist gut geschrieben, anschaulich mit vielen Fallbeispielen. Und die Methode ist wirklich wirklich einfach!

Bildnachweis: Hermann Bredehorst . Diakonie Katastrophenhilfe